Ein Politiker mit Alleinunterhalter-Qualitäten: Als Sigmar Gabriel, Ex-Ministerpräsident von Niedersachsen, gestern auf dem Podium der Kreuzkirche Platz nahm, gab es reichlich Gelegenheit zum Schmunzeln. Dabei ging es um ein sehr ernstes Thema, das der sozialen Gerechtigkeit. Doch der SPD-Mann aus Kanzlers Heimatland bewies rhetorisches Geschick.
VON ROBERT KLOSE
"Eines der schwierigsten Themen, das ihr euch im Kommunalwahlkampf aussuchen konntet aber da müsst ihr jetzt durch", scherzte der "Sozi" (Gabriel über Gabriel) vor seinen Marler Parteifreunden. Obwohl der gebürtige Goslarer freimütig zugab, nicht viel über Marl zu wissen, spendierte er trotz der Ausflüge in die Landes- und Bundespolitik seinen Genossen eine ganze Reihe von Tipps.
Stiftung als Modell
Zum Beispiel: Es sei doch zu überlegen, ob in einer Stadt die Sprachförderung für die ausländischen Schüler nicht wichtiger sei als die "Kür" der Volkshochschule beim Anbieten einer riesigen Kursvielfalt. Fraglich sei auch, ob die Förderung von Jugendreisen immer die richtigen Empfänger treffe. Gabriels Erfahrung: Oft säßen Kinder aus dem Mittelstand im Bus, nicht die bedürftiger Familien.
Nächster Gabriel-Tipp: Nicht jede Gemeinde müsse alle Leistungen, vom Theater bis zum Hallenbad, selbst vorhalten. Zusammenarbeit helfe, Kosten zu sparen. Sinnvoll sei auch die Gründung von Bürgerstiftungen: Wohlhabende Einwohner einer Stadt seien häufig gern bereit, sich für ihre Heimatkommune zu engagieren. Jens Vogel verwies auf das Beispiel der Nachbarstadt Herten: Es sei sehr wohl möglich, durch eine solche Stiftung privaten Reichtum für gemeinnützige Zwecke zu sammeln.
Am Reizthema "Hartz IV" kam natürlich auch die Versammlung in der Sinsener Kirche nicht vorbei. Gabriels Prognose: Der Abbau von Subventionen nütze auch Marl. Zudem würden die Kommunen unmittelbar von den Sozialhilfekosten entlastet.
Mit dem niedersächsischen Gast und Vogel auf dem Podium: Peter Burkowski, Superintendent des Kirchenkreises Recklinghausen, und Pfarrer Johannes Bengfort, ehemaliger Stadt-Dechant. Beide zeichneten ein identisches Stimmungsbild: "Das Empfinden von Ungerechtigkeit hat zugenommen." Beide waren auch einig in der Einschätzung: Die Verteilungsungerechtigkeit nehme immer weiter zu.