Nur das, was notwendig ist

WAZ-Bild: Beim Eintrag ins Goldene Buch der Stadt "assistierten" der Ministerin (von links) Uta Heinrich, Werner Arndt, Waltraud Lehn und Jens Vogel.

Die äußeren Umstände ließen die Marler SPD strahlen. Mit Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt als Gast hatte Marls Bundestagsabgeordnete Waltraud Lehn einen Volltreffer gelandet. Der Rathaussaal mit 300 Stühlen war voll, dazu wurden noch 50 im Foyer besetzt.

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt ist gelernte Sonderpädagogin und mit Sicherheit eine naturbegabte Psychologin wenn nicht gar Therapeutin: Über gut 45 Minuten schaffte sie es am Dienstagabend, die parteiübergreifende Einigung zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung im Marler Rathaussaal vor rund 350 Zuhörern so rüberzubringen, dass selbst ausgemachte Kritiker in einen eher zustimmenden Trancezustand abzugleiten schienen.

Ihre Zustandsbeschreibung wurde geteilt: Wir werden immer älter, wir haben zu wenig Kinder. Wir müssen mehr Prävention machen, damit wir Krankheiten verhindern beziehungsweise "nach hinten verschieben". Das Problem sei die Finanzkrise ("1,8 Millarden im ersten Halbjahr"), der Grund die dauerhafte Arbeitslosigkeit. Sparten wir nicht, stiege der Krankenkassenbeitrag durchschnittlich auf 15 Prozent.
Alle sollten den gleichen Zugang zu gesundheitlichen Dienstleistungen haben und alles, was medizinisch notwendig sei, bekommen. "Parallele, doppelte, nicht notwendige Dinge sind zu vermeiden." Krankenhäuser sollten mehr ambulant machen, Gesundheitszentren statt ausschließlich teurer Einzelpraxen. Transparenz, Chipkarte ab 2006 mit allen medizinischen Daten. Anregungen der Selbsthilfegruppen einbauen, Rechte der Patienten ausbauen – auch mit Quittungen über erbrachte Leistungen. Finanzielle Anreize fürs Hausarzt-System bei Reduzierung der Praxisgebühr.
"Zahnersatz und den Anteil Krankengeld werden Versicherte alleine finanzieren." Niemand müsse aber mehr als zwei Prozent des Bruttoeinkommens zuzahlen, chronisch Kranke die Hälfte. Es sei besser, zu rationalisieren als zu rationieren. Künftig dürften Beiträge nicht nur an Lohn und Gehalt gemessen werden.

Ihr Schlusswort: "Für jeden verändert es sich, sonst schaffen wir es nicht. Wir müssen die Chance nutzen." Beifall.
Doch als es danach zur Diskussion kam, wurden auch die Kritiker wieder hellwach. Die Pharma-Industrie werde geschont, die Patienten zahlten, so die Schilderung etlicher bedrückender Einzelfälle.
Schon heute seien viele Kassenpatienten im Zuzahlungs- und Erstattungsdschungel die Dummen, und in Zukunft werde sich für die wohl nur insoweit etwas ändern, als dass alles noch viel teurer werde.
Auf die Frage, in welcher Krankenkasse sie eigentlich sei, überzog die Ministerin ungewohnt wehleidig: Sie habe als Beamtin leider keine Gelegenheit gehabt, in die gesetzliche Krankenversicherung zu gehen. Das kam nicht so gut.
Die SPD plant weitere Infoveranstaltungen zum Thema Gesundheit und ist mit der Resonanz "sehr zufrieden". tom